Vorsorglich die Urlaubsvergütung bei Kündigung gewähren
Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich und hilfsweise ordentlich, so kann er für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung zur Meidung einer Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen vorsorglich den Urlaub in der Kündigungsfrist gewähren. Der Arbeitgeber muss jedoch dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlen oder verbindlich zusagen,
LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 04.09.2019, 4 Sa 15/19.
Dauerbrenner
Was ist eine Kündigungsschutzklage?
Welche Fristen sind einzuhalten?
Wann ist das Kündigungsschutzgesetz anwendbar?
Wann kann Kurzarbeit eingeführt werden?
Was hat der Arbeitgeber zu beachten?
Welche Rechte und Pfichten hat der Arbeitnehmer?
Besteht ein Anspruch auf Arbeit im Home-Office?
Darf der Arbeitgeber einseitig Home-Office anordnen?
Wer trägt die Kosten für einen Arbeitsplatz im Home-Office?
Muss dem Arbeitgeber Zutritt gewährt werden?
Hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Freistellung?
Darf der Arbeitgeber einseitig freistellen?
Wird die Freistellung auf den Urlaubsanspruch angerechnet?
Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich und hilfsweise ordentlich, so kann er für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung zur Meidung einer Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen vorsorglich den Urlaub in der Kündigungsfrist gewähren. Der Arbeitgeber muss jedoch dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlen oder verbindlich zusagen,
LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 04.09.2019, 4 Sa 15/19.
Die Parteien streiten über Restvergütung aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.
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Der Kläger war beim Beklagten beschäftigt seit 15. Dezember 2012. Er bezog zuletzt ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.900,00 Euro.
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Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 18. September 2017 (Bl. 7 bis 7R der arbeitsgerichtlichen Akte) außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. November 2017. In diesem Kündigungsschreiben heißt es hinsichtlich der noch offenen Urlaubsansprüche:
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Für den Fall der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung gelte ich Ihnen bis zum Kündigungszeitpunkt nicht genommenen Urlaub ab.
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Für den Fall der nicht anzunehmenden Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung habe ich Ihnen hilfsweise ordentlich gekündigt. In diesem Fall gilt Folgendes: Sie werden Ihren sämtlichen noch nicht genommenen Urlaub direkt im Anschluss an den Zeitpunkt des Zugangs dieser Kündigung in der Zeit vom 19.09.2017 bis 11.10.2017 nehmen. Die gezahlte Abgeltung ist dann als Zahlung des Urlaubsentgelts für den betreffenden Zeitraum zu verstehen. In jedem Fall sage ich Ihnen für die Zeit Ihres Urlaubs die Urlaubsvergütung vorbehaltlos zu.
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Der Beklagte rechnete das Entgelt bis 18. September 2017 ab in Höhe von 1.140,00 Euro brutto zuzüglich einer Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.338,88 Euro brutto (Bl. 9 der arbeitsgerichtlichen Akte). Die abgerechneten Beträge wurden an den Kläger ausbezahlt.
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Im Kündigungsschutzverfahren schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht Stuttgart (5 Ca 6338/17) einen gerichtlichen Vergleich, dessen Zustandekommen gem. § 278 Abs. 6 ZPO mit Beschluss vom 24. November 2017 (Bl. 8 der arbeitsgerichtlichen Akte) festgestellt wurde. Dieser lautet wie folgt:
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1. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen aufgrund ordentlicher Kündigung des Beklagten vom 18.09.2017 mit Ablauf des 31.10.2017 geendet hat.
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2. Der Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger eine Sozialabfindung im Sinne der §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 4.000,00 Euro brutto zu bezahlen. Der Abfindungsanspruch entsteht mit Bestandskraft dieses Vergleichs. Er ist ab diesem Zeitpunkt vererblich. Die Bezahlung ist fällig zum 30.11.2017.
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3. Der Beklagte verpflichtet sich, den Zeitraum vom 18.09.2017 bis 31.10.2017 ordnungsgemäß auf der Basis eines Monatsgrundgehalts in Höhe von 1.900,00 Euro abzurechnen und dem Kläger die entsprechenden Nettobeträge auszubezahlen.
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4. Der Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis mit einer Gesamtbeurteilung der Note „gut“ zu erteilen. Das Zeugnis enthält ferner einer der Gesamtbeurteilung entsprechende Schlussklausel.
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5. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit sowie alle finanziellen Ansprüche zwischen den Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung, gleich ob bekannt oder unbekannt und gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt.
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6. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Im Anschluss an den Vergleich nahm der Beklagte Korrekturabrechnungen vor, in welchen er für die Monate September und Oktober 2017 (Bl. 25 bis 26 der arbeitsgerichtlichen Akte) jeweils ein Bruttoentgelt in Höhe von 1.900,00 Euro auswies und in der Oktoberabrechnung die Abfindung in Höhe von 4.000,00 Euro. Die beiden Korrekturabrechnungen wurden in einer weiteren Abrechnung für den Monat Dezember 2017 (Bl. 11 der arbeitsgerichtlichen Akte) zusammengefasst. Unter Berücksichtigung bereits geleisteter Zahlungen wurde der ausgewiesene saldierte Nettobetrag an den Kläger zur Auszahlung gebracht. Die bisherige Urlaubsabgeltung wurde dabei als (bereits geleistetes) Urlaubsentgelt behandelt.
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Der Kläger vertrat die Auffassung, der Beklagte hätte die bereits geleistete Urlaubsabgeltung nicht nachträglich als Urlaubsentgelt behandeln dürfen. Ihm stünden deshalb noch 1.338,88 Euro brutto Entgelt aus Annahmeverzug zu.
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Er vertrat die Auffassung, die vorsorgliche Urlaubsgewährung für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung sei nicht zulässig gewesen, da während des Laufs der Kündigungsfrist nicht klar gewesen sei, ob überhaupt eine Arbeitspflicht bestanden habe. Ohne feststehende Arbeitspflicht habe er von einer solchen nicht wirksam befreit werden können.
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Außerdem ergebe sich aus der Formulierung im Vergleich, dass die titulierten Beträge „auszubezahlen“ seien, in Verbindung mit der Gesamterledigungsklausel, dass eine nachträgliche Anrechnung des bereits abgegoltenen Urlaubs auf die noch ausstehende Vergütungszahlung nicht habe in Betracht kommen sollen.
Dem Kläger steht für den Zeitraum 19. September bis 11. Oktober 2017 kein Anspruch auf Entgelt wegen Annahmeverzugs aus §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 BGB in Höhe von 1.338,88 Euro brutto zu. Der Kläger hatte in diesem Zeitraum nämlich Urlaub. Das hierauf entfallende Urlaubsentgelt hat der Beklagte aber bereits bezahlt. Der Vergütungsanspruch des Klägers für den Gesamtzeitraum 19. September 2017 bis 31. Oktober 2017 ist somit erfüllt, § 362 Abs. 1 BGB.
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1. Der Beklagte hat mit seiner Bestimmung im Kündigungsschreiben vom 18. September 2017 dem Kläger wirksam Urlaub gewährt und den Urlaubsanspruch des Klägers im Zeitraum 19. September bis 11. Oktober 2017 wirksam erfüllt durch die vorbehaltlose Zusage und Zahlung des Urlaubsentgelts.
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a) Nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vorsorglich Urlaub gewähren für den Fall, dass die von ihm ausgesprochene Kündigung unwirksam sein sollte. Eine solche vorsorgliche Urlaubsgewährung liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse des Arbeitgebers, um die Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern (BAG 14. August 2007 - 9 AZR 934/06 -). Die erklärte Arbeitsbefreiung muss jedoch hinreichend deutlich erkennen lassen, dass eine Befreiung von der Arbeitspflicht zur Erfüllung des Anspruchs auf Urlaub gewährt wird. Sonst kann nicht festgestellt werden, ob der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs die geschuldete Leistung bewirken will (§ 362 Abs. 1 BGB), als Gläubiger der Arbeitsleistung auf die Annahme verzichtet (§ 615 Satz 1 BGB) oder ob er dem Arbeitnehmer nach § 397 Abs. 1 BGB anbietet, die Arbeitspflicht vertraglich zu erlassen (BAG 10. Februar 2015 - 9 AZR 455/13 -; BAG 14. August 2007 - 9 AZR 934/06 -).
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Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung für die Dauer der Kündigungsfrist frei und erhebt der Arbeitnehmer Klage nach § 4 KSchG, so steht in dem Zeitraum, in dem der Urlaub erfüllt werden soll, regelmäßig nicht rechtskräftig fest, ob die außerordentliche Kündigung wirksam ist. Da nur im Fall der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung eine Arbeitspflicht besteht, von der der Arbeitnehmer befreit werden kann, ist mit Zugang der bedingten Freistellungserklärung des Arbeitgebers bei dem Arbeitnehmer nicht klar, ob eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung besteht, von der eine Befreiung möglich ist. Darüber hinaus ist der Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz nicht allein auf die Freistellung von der Arbeitsleistung gerichtet. Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Zur Erfüllung dieses Anspruchs genügt nicht, dass der Arbeitnehmer in der Zeit des Urlaubs nicht arbeiten muss. Das Gesetz verlangt, dass die Zeit der Freistellung von der Arbeit „bezahlt“ sein muss. § 1 BUrlG entspricht insoweit der Regelung in Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie und ist damit einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich (BAG 10. Februar 2015 - 9 AZR 455/13 -). Um trotz der zum Zeitpunkt der Freistellungsgewährung noch bestehenden Unsicherheit über das Bestehen einer Arbeitspflicht Sicherheit über die Verbindlichkeit der „bezahlten“ Urlaubsgewährung erlangen zu können, ist es unter Berücksichtigung der Arbeitszeitrichtlinie deshalb erforderlich, dass dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Urlaubs ein Anspruch auf Vergütung sicher sein muss. Dazu genügt es nicht, wenn ihm zu irgendeinem späteren Zeitpunkt nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage ein Anspruch auf Urlaubsvergütung zuerkannt wird. Der Arbeitnehmer ist in unzumutbarer Weise in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt, wenn er bei Urlaubsantritt nicht weiß, ob ihm Urlaubsentgelt gezahlt wird. Mit dem unionsrechtlichen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wird bezweckt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Dieser Zweck kann typischerweise nur dann erreicht werden, wenn der Arbeitnehmer während des Zeitraums weiß, dass er in Bezug auf das Entgelt in eine Lage versetzt ist, die mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist. (BAG 19. Januar 2016 - 2 AZR 449/15 -; BAG 10. Februar 2015 - 9 AZR 455/13 -). Der Arbeitgeber muss deshalb vor dem Urlaubsantritt die Urlaubsvergütung zahlen oder zumindest vorbehaltlos zusagen (BAG 10. Februar 2015 - 9 AZR 455/13 -).
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b) In Anwendung dieser Grundsätze hat der Beklagte dem Kläger wirksam Urlaub gewährt.
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Der Beklagte hat im Kündigungsschreiben ausdrücklich erklärt, dass dem Kläger für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung Urlaub gewährt werden soll. Es wurde der Urlaubszeitraum konkret benannt.
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Der Beklagte hat zudem ausdrücklich die Zahlung der Urlaubsvergütung vorbehaltlos zugesagt. Die Zahlung erfolgte auch am 16. Oktober 2017, wenn auch unter Zugrundelegung der hauptsächlich verfolgten Rechtsauffassung, dass es sich wegen der wirksamen außerordentlichen Kündigung um eine Abgeltung handele.
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Die vom Kläger vertretene Auffassung, dass die Unsicherheit über die Möglichkeit einer Arbeitsbefreiung noch während des Laufs der Kündigungsfrist beseitigt werden müsse, ist den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts nicht zu entnehmen. Den Entscheidungen ist im Gegenteil zu entnehmen, dass es ausreicht, dass der Arbeitnehmer sicher sein kann, für den bezeichneten Zeitraum verbindlich Vergütung zu erhalten.
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c) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die vorliegend zugrunde gelegte Auslegung des Bundesarbeitsgerichts mit Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG vereinbar und europarechtskonform.
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aa) Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ist als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft anzusehen, dessen Umsetzung durch die zuständigen nationalen Stellen nur in den ausdrücklich in der Richtlinie 2003/88/EG selbst vorgesehenen Grenzen erfolgen kann (EuGH 22. Mai 2014 - C-539/12-, Lock; EuGH 21. Juni 2012 - C-78/11 -, ANGED; EuGH 10. September 2009 - C-277/08 -, Vicente Pereda; EuGH 20. Januar 2009 - C-350/06 -, Schultz-Hoff). Die Richtlinie 2003/88/EG behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und den auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs (EuGH 22. Mai 2014 - C-539/12 -, Lock).
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Durch die Zahlung des Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (EuGH 22. Mai 2014 - C-539/12 -, Lock; EuGH 20. Januar 2009 - C-350/06 -, Schultz-Hoff).
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Primär bezweckt der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub jedoch, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen (EuGH 21. Juni 2012 - C-78/11 -, ANGED; EuGH 10. Juni 2009 - C-277/08 -, Vicente Pereda; EuGH 20. Januar 2009 - C-350/06 -, Schultz-Hoff).
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bb) Dem Kläger ist einzuräumen, dass die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 10. Februar 2015 (9 AZR 455/13) und 19. Januar 2016 (2 AZR 449/15) den Fokus im Wesentlichen auf die Entgeltseite des einheitlichen Urlaubsanspruchs legen und die Frage, ob bei einer vorsorglichen Urlaubsgewährung der Urlaubszweck überhaupt gewährleistet werden kann, unbeantwortet bleibt.
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Jedoch steht die vorsorgliche Urlaubsgewährung auch dem Zweck der Ermöglichung von Urlaub, Entspannung und Freizeit nicht entgegen.
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(1) Der Erholung steht nicht entgegen, dass der Kläger nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung und Arbeitslosmeldung iSv. § 141 SGB III gem. § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen musste, somit verfügbar sein musste.
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(a) Gem. § 138 Abs. 5 Nr. 2 SGB III ist Voraussetzung für eine Verfügbarkeit unter anderem, dass der Versicherte Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Dies liegt gem. § 1 Abs. 1 der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) nur bei denjenigen vor, die in der Lage sind, unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamts persönlich zur Kenntnis zu nehmen, das Arbeitsamt aufzusuchen, mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und bei Bedarf mit diesen zusammenzutreffen und eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen. Urlaub ist in der EAO nicht vorgesehen. Gem. § 3 EAO steht lediglich einer Verfügbarkeit nicht entgegen, wenn sich der arbeitslose Versicherte bis zu drei Wochen im Kalenderjahr außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält und das Arbeitsamt hierzu vorher seine Zustimmung erteilt hat. Die Zustimmung darf aber nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird.
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Gerade in der Anfangszeit einer Arbeitslosigkeit ist der Erhalt der Zustimmung der Agentur für Arbeit zu einem Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aber schwerlich gesichert und nicht absehbar, da gerade in der Anfangszeit verstärkt Bemühungen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Wiedereingliederung beginnen.
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Befindet sich der versicherte Arbeitslose außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs, ist er nicht verfügbar und ist für diesen Zeitraum seines Arbeitslosengeldanspruchs verlustig.
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Kommt der versicherte Arbeitslose zum Beispiel Vermittlungsangeboten der Agentur für Arbeit nicht nach, verhindert er dadurch insbesondere Vorstellungsgespräche, hat dies gem. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGB III eine Sperrzeit und gem. § 148 Abs. 1 Nr. 3 SGB III eine Minderung des Arbeitslosengeldanspruchs zur Folge.
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Daraus folgt, dass der Arbeitnehmer in einem vorsorglich angeordneten Urlaub nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung bei erfolgter Arbeitslosmeldung nicht in der Lage ist, den Urlaub entsprechend seinen Erholungswünschen zu gestalten.
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(b) Dies ist jedoch unschädlich. Denn der Kläger wäre folgenlos in der Lage gewesen, das Erfordernis der Verfügbarkeit zu vermeiden. Der Kläger hätte sich für den bewilligten Urlaubszeitraum schlicht nicht arbeitslos melden müssen.
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Denn meldet sich ein Versicherter nach einer außerordentlichen Kündigung arbeitslos, so ruht sein Anspruch auf Arbeitslosengeld neben dem in der Regel ohnehin parallel dazu bestehenden Ruhen bei Sperrzeit (§ 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) gem. § 157 Abs. 2 SGB III für den Zeitraum, für den er eine Urlaubsabgeltung erhalten hat oder zu beanspruchen hat. Ruht aber der Arbeitslosengeldanspruch ohnehin, ist es unschädlich, sich erst zum Ablauf des Ruhenszeitraums nach § 157 Abs. 2 SGB III arbeitslos zu melden. So kann das Verfügbarkeitserfordernis während des Urlaubs vermieden werden.
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(2) Auch die Pflichten nach einer Arbeitssuchendmeldung nach § 38 Abs. 1 SGB III stehen der Erholung im (vorsorglich) bewilligten Urlaubszeitraum nicht entgegen.
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(a) Gem. § 38 Abs. 1 Satz 2 SGB III haben sich Personen, bei denen der Zeitraum zwischen Kenntnis des Beendigungszeitpunkts und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate beträgt, was bei außerordentlichen Kündigung regelmäßig der Fall ist, innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend zu melden. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur rechtszeitigen Arbeitssuchendmeldung führt gem. § 159 Abs. 1 Nr. 7 SGB III zu einer Sperrzeit und gem. § 148 Abs. 2 Nr. 3 SGB III zu einer Minderung des späteren Arbeitslosengeldanspruchs.
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Hat sich der Versicherte arbeitssuchend gemeldet, gelten gem. § 38 Abs. 1 Satz 6 SGB III die Meldepflichten der §§ 309 und 310 SGB III entsprechend, und zwar unabhängig vom Leistungsbezug (Schön in LPK-SGB III 2. Aufl. § 38 Rn. 20). Da bis zur Beantragung der Leistung bzw. bis zur Arbeitslosmeldung die Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I noch nicht gelten (Schmidt Sozialversicherungsrecht in der arbeitsrechtlichen Praxis 4. Aufl. Rn. 38), bezweckt die entsprechende Anwendung der §§ 309, 310 SGB III, die Verbindlichkeit im Vermittlungsprozess für Nichtleistungsbezieher zu erhöhen (BT-Drs. 16/10810, Seite 30).
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Gem. § 309 Abs. 1 SGB III hat sich der Arbeitssuchende bei der Agentur für Arbeit persönlich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, wenn er dazu aufgefordert wird. Die Meldung hat gem. § 309 Abs. 3 Satz 1 SGB III zu der von der Agentur für Arbeit bestimmten Zeit zu erfolgen. Gem. § 309 Abs. 2 SGB III kann die Aufforderung zur Meldung den Zwecken der Berufsberatung, der Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit, der Vorbereitung aktiver Arbeitsförderungsleistungen, der Vorbereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahren und der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch dienen.
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Kommt ein Arbeitssuchender den Meldepflichten nicht nach, kann er gem. § 159 Abs. 1 Nr. 6 SGB III mit einer Sperrzeit belegt werden. Verhindert er z.B. das Zustandekommen eines Vorstellungsgesprächs kommt eine Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGB III in Betracht (Schmidt Sozialversicherungsrecht in der arbeitsrechtlichen Praxis 4. Aufl. Rn. 39).
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Versicherte sind demnach bereits im Vorfeld vor einem Leistungsantrag und vor Arbeitslosmeldung durch sozialversicherungsrechtliche Mitwirkungspflichten gebunden, die einer freien Erholung entgegenzustehen geeignet sind.
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(b) Diese sozialversicherungsrechtlichen Mitwirkungsverpflichtungen nach Arbeitssuchendmeldung gem. § 309 SGB III treten aber nicht nur nach außerordentlichen Kündigungen auf, sondern auch bei ordentlichen Kündigungen. Dass bei „normalen“ ordentlichen Kündigungen in den letzten drei Monaten der Kündigungsfrist kein Urlaub mehr bewilligt werden könnte, weil sozialversicherungsrechtliche Mitwirkungspflichten dem Erholungszweck entgegenstünden, wurde jedoch bislang noch von niemandem vertreten. Warum dies bei einer außerordentlichen Kündigung mit nur hilfsweiser ausgesprochener ordentlichen Kündigung und einer vorsorglichen Urlaubsbewilligung anders sein sollte, lässt sich argumentativ nicht begründen.
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Anders als in Fällen einer Arbeitslosmeldung, bei denen - verursacht ursprünglich durch die arbeitgeberseitige Kündigung - eine Einschränkung in der persönlichen zeitlichen und räumlichen Disponibilität einhergeht, liegt eine solche persönliche Einschränkung nach einer bloßen Arbeitssuchendmeldung noch nicht vor. Wie bereits dargestellt, wird über den Verweis in § 38 Abs. 1 Satz 6 SGB III auf § 309 SGB III lediglich das Fehlen der Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I vor dem Leistungsantrag kompensiert. Von öffentlichen Sozialleistungsträgern erwartete gesetzliche Mitwirkungspflichten haben aber keinen Einfluss darauf, dass der urlaubsbewilligende Arbeitgeber den Urlaub frei von Bindungen gewähren möchte. Auf etwaige anderweitige tatsächliche Bindungen durch Dritte hat er keinen zurechenbaren Einfluss.
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2. Es ist nicht richtig, dass der Beklagte mit der Zahlung des Betrags von 1.338,88 Euro am 16. Oktober 2017 nur mit der Tilgungsbestimmung „Urlaubsabgeltung“ leisten wollte, der nämliche Zahlungsbetrag somit nicht mehr geeignet wäre, eine Erfüllung mit der Tilgungsbestimmung „Urlaubsentgelt“ bewirken zu können. Der Beklagte hat von Anfang an klargestellt, dass er abhängig von der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung mit einer alternativen Tilgungsbestimmung „Urlaubsabgeltung“ oder „Urlaubsentgelt“ leisten wolle.
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Nach Eintritt der Bedingung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung entsprechend dem gerichtlichen Vergleich hatte der Kläger somit Urlaub. Der Zahlbetrag erhielt endgültig die Tilgungsbestimmung „Urlaubsentgelt“ für den Zeitraum 19. September bis 11. Oktober 2017.
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3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem gerichtlichen Vergleich vom 24. November 2017.
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a) Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge - auch Prozessvergleiche - so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist zwar vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen (BAG 25. Januar 2017 - 4 AZR 522/15 -; BAG 24. September 2015 - 2 AZR 716/14 -).
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Ist eine „ordnungsgemäße Abrechnung“ tituliert, betrifft dies in der Regel die tatsächlich bestehenden Ansprüche. Sie zielt auf eine Berechnung nach den außerhalb des Vergleichs aufzufindenden, von ihm unabhängig anzuwendenden Rechtsnormen. Eine hiervon abweichende Betrachtung kann sich allenfalls bei Vorliegen entsprechender tatsächlicher Umstände ergeben (BAG 19. Mai 2004 - 5 AZR 434/03 -).
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b) Vorliegend hat sich der Beklagte unter Nr. 3 des gerichtlichen Vergleichs nur zur „ordnungsgemäßen Abrechnung“ verpflichtet für den Zeitraum 18. September bis 31. Oktober 2017. Mit dieser Formulierung, jedenfalls für sich selbst stehend, wurde demnach kein unabhängig von den tatsächlich bestehenden Anspruchsgrundlagen eigenständiger Anspruch begründet.
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Es wurde im Vergleich auch kein Abrechnungs- oder Zahlungsbetrag konkret benannt. Vielmehr sollte die Abrechnung lediglich „auf der Basis eines Monatsgrundgehalts in Höhe von 1.900,00 Euro“ erfolgen. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass eine zeitanteilige Berechnung zu erfolgen hatte. Es wurde die Grundlage für die zeitanteilige Berechnung festgelegt. Eine Veränderung der eigentlichen Anspruchsgrundlage für den Zahlungsanspruch oder eine eigenständige Begründung eines neuen Zahlungsanspruchs ist damit nicht erfolgt.
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Vor allem wurde über die Formulierung, dass „auf der Basis“ eines Monatsgrundbetrags abzurechnen und auszubezahlen sei, kein vollstreckbarer Titel geschaffen. Eine eigenständige Vollstreckbarkeit der Zahlung wäre mangels Bestimmtheit nicht möglich gewesen.
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Dass ausweislich Nr. 3 des Vergleichs die den Abrechnungen „entsprechenden Nettobeträge auszubezahlen“ sind, muss nicht zwangsläufig dazu führen, dass genau der in den Abrechnungen ausgewiesene Auszahlungsbetrag konstitutiv zu zahlen wäre. Die Formulierung schließt nicht aus, dass bereits ausgezahlte Beträge bei der Durchführung der Auszahlungen in Anrechnung gebracht werden können. Denn anderenfalls würde der Kläger schließlich mehr Geld erhalten, als der Beklagte ihm ohne Veränderung der Rechtsgrundlage für den Zahlungsanspruch geschuldet hätte.
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Die Gesamterledigungsklausel in Nr. 5 des gerichtlichen Vergleichs ändert an dieser Beurteilung nichts. Über andere Ansprüche als die titulierten streiten die Parteien nicht.
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